Reenactment & Living History

Als Historienverein für mittelalterliche Darstellung, Heimatforschung, Reenactment und Living History versuchen wir mit unserer Ausrüstung neben privaten Lagern und eigenen Veranstaltungen bei uns auf der Burg auch auf öffentlichen Events wie Mittelaltermärkten und Burgfesten mittelalterliches Leben, Kämpfe, Handwerk etc. erlebbar und nachvollziehbar zu machen. Wir sehen uns dabei als Kulturvermittler einer vergangenen Epoche und versuchen, historische Fakten so korrekt wie es unsere Möglichkeiten zulassen, wiederzugeben.


 

Ziele von Reenactment und Living History

 

Mit größtmöglicher Authentizität vergangene Zeiten wieder aufleben zu lassen und erlebbar zu machen – so könnte man das große Ziel von Reenactment und Living History grob definieren. So regen neben dem Mittelalter auch andere Epochen wie die Antike aber auch die Neuzeit zum Wiederentdecken an und sind dabei auch für die Gegenwart lehrreich. Dabei sollte im Zentrum stets die Annäherung an einstige Lebensumstände sowohl anhand des historischen Quellenmaterials als auch in Ausführung historischer Herstellungsmethoden (Archäotechnik) stehen.

Die Aneignung von Fachwissen, ausgiebige Recherche und Quellenarbeit, aber auch kritische Quellenauswertung vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte und der zeitlichen, geografischen, politischen, gesellschaftlichen und religiösen Einordnung sind für die Auseinandersetzung mit früheren Epochen unerlässlich. Das anschließende Fertigen von zum Beispiel Kleidung soll dann, soweit im Rahmen der heutigen Möglichkeiten, aus in der dargestellten Zeit verwendeten Materialien als auch nach historisch belegten Methoden geschehen. Nur dadurch kann die Darstellung möglichst korrekt aufgebaut werden.

Man sollte sich dennoch beim Living History bewusst sein, dass vollständige Authentizität nicht erreicht werden kann. Zum einen beinhaltet wissenschaftliches Arbeiten unter anderem, jede Quelle kritisch zu hinterfragen, wobei sich in vielen Fällen mehrere und nicht immer eindeutige Interpretationsmöglichkeiten ergeben. Zum anderen erschweren uns prägende Lebens- und Sichtweisen der Gegenwart das Einfühlen in ehemalige Epochen und Lebensumstände.

Als Menschen der Moderne können wir nicht sicher sagen, wie ein mittelalterlicher Mensch gedacht und gehandelt hätte. Auch das Empfinden von historischen Ereignissen und strukturellen Umständen lassen sich nie in Gänze erfassen, allenfalls nur erahnen, aber schon gar nicht nachleben. So sind abgeleitete Sachverhalte aus Quellen und selbst erarbeitete Schlussfolgerungen des Living History auch immer nur ein ‚so könnte es gewesen sein‘ und niemals ein ‚so muss es gewesen sein‘.

Somit sind Formulierungen wie die praktische Annäherung an eine historische Realität beim Living History, die je nach Anspruch und erarbeitetem Fachkenntniss zwischen Anlehnen und Nachempfinden liegen kann und sich idealerweise stetig weiter entwickelt und vertieft, dem Begriff der Authentizität vorzuziehen.

Wir können durch fortwährendes Informieren und Weiterbilden versuchen, das Leben in früheren Zeiten nachzuempfinden und je nach Anspruch auch sehr nah an die damalige Realität herankommen, vollkommen verstehen werden wir die in ihr lebenden Menschen und ihr Weltbild jedoch nie.

 

Grenzen von Reenactment und Living History

 

Natürlich liegt es in der Natur der Sache, dass man im Laufe der Jahre um so tiefer man eintaucht auch immer mehr wissen will und folglich dann auch die Ansprüche an sich selbst mal mehr und mal weniger steigern will, entscheiden muss das letztendlich jeder für sich selbst. Man sammelt Wissen und Erfahrungen, interessiert sich für einen gewissen Schwerpunkt wie Rüstung oder Kleidung oder man ist besonders begabt in einem alten Handwerk. Für jeden ergeben sich mit der Zeit eigene Ziele aber auch Grenzen.

Wie oben schon erwähnt, kann man nie von einer komplett abgeschlossenen, historisch korrekten und authentischen Darstellung sprechen. Vielmehr sollte man nie aufhören, mehr Wissen und Erfahrungen zu sammeln und diese auch zu revidieren. Und dann braucht es ja auch noch die Zeit, das neu gelernte und erworbene Wissen umzusetzen.

So darf man bei alldem nicht vergessen, dass das Hobby Reenactment und Living History ausgesprochen zeit- und geldaufwändig sein kann. Es können oft nur Kleinigkeiten wie besonderer Schmuck nach Fundlage oder die Details der in vielen Stunden selbst von Hand genähten und bestickten Kleidung sein. Es können wie in unserem Fall aber auch größere Projekte bei der Burgenrenovierung sein, wie das händische Behauen von Balken oder das Bemalen der Ritterstube mit historischen Fresken. Diese Liste könnte man lange fortsetzen, aber ich glaube, es ergibt sich ein Bild.

Man könnte jetzt meinen, das Ganze muss eigentlich mehr frustrierend als erfreulich sein, wenn man seinem Wissen aus diversen Gründen mit der Ausrüstung immer etwas hinterherhinkt. Aber genau das macht es für uns spannend, schließlich wäre es doch sehr langweilig, irgendwann keine Ziele mehr zu haben.

Und dann ist da noch ein Punkt, den man sowieso nicht außer Acht lassen darf: Wir leben in der Moderne und nicht im Mittelalter.

Jeder hat nebenbei auch eine Familie und einen Beruf, die man beide behalten will und so muss das Hobby oft genug hinten anstehen. So groß der Wunsch auch ist, das Mittelalter hautnah zu erleben, wir sind nun einmal von unseren modernen Ansprüchen und Ansichten geprägt, was wiederum auch die Erfahrungen, die wir beim Living History machen, einschränkt. Es gibt einfach Dinge, auf die man aus zum Beispiel hygienischer und gesundheitlicher Sicht nicht verzichten kann oder will. Man denke nur an Klopapier und Kopfschmerztabletten;)

Wir bemühen uns um eine möglichst genaue historische Darstellung nach Quellenlage und Erfahrungswerten. Trotzdem muss auch jeder selbst um seine Ziele und Grenzen wissen, keiner wird gezwungen. Wir betreiben dieses Hobby ja schließlich in unserer Freizeit und wollen in erster Linie Spaß daran haben. Der Fehler in unserer Ausrüstung sind wir uns bewusst und wir wissen auch wo wir es uns einfacher machen. Wir werden aber auch immer darauf hinweisen, man würde sich ja sonst nur selbst belügen.

Wir befinden uns beim Reenactment und Living History also ständig auf der Jagd nach einer möglichst korrekten Annäherung an eine historische Realität, welche nie vollends abgeschlossen werden kann. Aber genau diese Grenzen immer weiter zu verschieben ist letztendlich auch wieder das Ziel.

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